Türchen 17 – Die Kraft der 2% (Flussrenaturierung)

Stell dir vor, du brauchst nur 2% von etwas, und bewirkst damit eine ganze Menge. So ähnlich ist es bei Flussrenaturierungen. Denn erst kürzlich wurde herausgefunden: 2% hören sich zwar nach wenig an. Doch bei Flussrenaturierungen entfalten sie eine Menge Kraft.

In diesem Türchen erfährst du mehr über diese „Kraft der 2%“.

Deutschlands Bäche und Flüsse sind in einem schlechtem Zustand

Zunächst etwas weniger Erfreuliches: Die Gewässer in Deutschland sind in einem schlechten Zustand. Damit ist nicht so sehr die Wasserqualität gemeint, sondern allgemein der ökologische Zustand: Insbesondere die Biodiversität und das Ausmaß, in dem Gewässer weitere Funktionen bzw. Ökosystemleistungen wie Hochwasserschutz etc. erfüllen können. Eine Erhebung der EU im Jahr 2022 ergab, dass 90% der Bäche und Flüsse der EU in einem schlechten ökologischen Zustand sind.

Blick auf einen Fluss, der durch eine Stadt fließt und über den eine Brücke führt
Städte sind ein Grund, warum Flüsse bei uns nicht frei fließen können. / © Peter H., pixabay,com

In Deutschland gibt es ein dichtes Netz an Flüssen und kleineren Bächen. Fließgewässer mit über 590.000 Kilometer Gesamtlänge durchziehen Deutschland. Viele davon werden intensiv genutzt. Denke nur an die größeren Flüsse, an Rhein, Donau, Elbe, Neckar etc.: Sie werden von Schiffen befahren, ihr Wasser wird zur Kühlung von Kraftwerken genutzt, teilweise auch zur Energiegewinnung. Hinzu kommen Siedlungen und Verkehrswege, die Flüsse in Bahnen weisen, Abwässer, die in die Flüsse geleitet werden, die Landwirtschaft, aus der Gülle, Pestizide etc. in die Flüsse gelangen. Dazu werden Flüsse an vielen Stellen begradigt, Deiche werden gebaut und die Auen dadurch von den Flüssen abgetrennt, Gewässerbetten werden mit Steinen befestigt oder ausgegraben, Uferbewuchs wird entfernt, ehemalige Auen bebaut oder landwirtschaftlich genutzt.

Das alles führt zur Schwächung der Gewässer und ihrer natürlichen Funktionen. Sie verlieren dadurch etwa 80% der Fläche, die sie für eine Ausbreitung und die Bildung natürlicher Strukturen bräuchten.

Ein Fluss inmitten von Bäumen und Büschen
Frei fließende Gewässer sind in Deutschland selten. / © Deborah Jackson, pixabay,com

2% bringen viel

Stellen wir uns aber einmal vor, unseren Flüsse und Bäche würden 2% der Fläche in Deutschland (zurück)gegeben werden. 2%, das ist nicht sonderlich viel. Doch diese 2% würden einiges bewirken: Deutschland könnte damit viele Punkte der europäischen Gewässerschutzziele erreichen. Das hat das Umweltbundesamt (UBA) errechnet.

Würde man den Gewässern in Deutschland 7.000 km² (zurück)geben, wäre dies ein großer Gewinn: Diese Fläche fehlt den Gewässern momentan, doch sie wäre dringend für einen angepassten Hochwasserschutz, für eine naturnahe Auen- und Gewässerentwicklung, für Biodiversität und die Anpassung an die Folgen des Klimawandels notwendig. Alles Funktionen, die Gewässer erfüllen können, wenn man sie lässt.

Das einzige, was sie dazu brauchen: Platz. Die Möglichkeit, sich natürlich zu entwickeln und frei fließen zu können. Frei, mäandrierend, nicht eingezwängt in Kanäle und vorgegebenen Bahnen.

ein begradigter Fluss fließt durch landwirtschaftliche Flächen und ein Dorf, auf dem Fluss sind zwei Schiffe zu sehen
Begradigt und eingeengt – so kann ein Fluss nur wenig Ökosystemleistungen erbringen. / © Thomas G., pixabay,com

Stell dir nur einmal eine intakte Auenlandschaft vor: Flächen, die an Flüsse grenzen und von Zeit zu Zeit überflutet werden. Diese Flächen wirken wie ein riesiger Schwamm. Kommt es zu einem Hochwasser, z.B. durch Starkregenereignisse, kann sich das Wasser aus dem Fluss ausbreiten. Das Wasser hat Platz, Überflutungen werden abgemildert, Dörfer und Städte geschützt. Die Auenflächen nehmen Wasser auf und speichern es bis zu einem gewissen Grad auch. Andersrum in einer Dürrephase: Hier kann das gespeicherte Wasser abgegeben werden, es unterstützt Pflanzen und Tiere, fördert eine reiche Biodiversität, bei starker Hitze entsteht zudem eine kühlende Wirkung. Ein naturnaher Fluss hat viel mehr Kurven und mäandriert stärker. Das reduziert die Fließgeschwindigkeit – das Wasser verbleibt dann länger in der Landschaft.

Alles Leistungen, die intakte Gewässer übernehmen – wenn wir sie lassen.

Geben wir den Fließgewässern ihre verlorenen Flächen wieder zurück, entstehen wieder natürliche Strukturen, Lebensraum für zahlreiche Tiere und Pflanzen wird gefördert. Dazu zählen die oben angesprochenen Auen, aber ebenso Sand- und Kiesbänke, Inseln oder schlichtweg umgestürzte Bäume, die alle Platz haben dürfen.

eine Flusslandschaft, von Bäumen gesäumt und an den Ufern überschwemmt
In Auenlandschaften kann sich der Fluss ausbreiten und umliegende Flächen überfluten. / © Andreas Glöckner, pixabay,com

Gewässer erfüllen viele Funktionen

Insgesamt erfüllen naturnahe Fließgewässer rund 40 verschiedene Funktionen. Hochwasserschutz und Biodiversität sind nur zwei davon. Gewässer stellen auch Nahrung zur Verfügung, Trinkwasser, sie speichern in ihrem Ökosystemen Kohlenstoff und für uns Menschen sind sie auch Freizeit- und Erholungsraum und vieles mehr.

Früher galt, Wasser soll fließen, und zwar schnell. Es sollte möglichst schnell aus der Landschaft abgeleitet werden. Heute gilt: Wasser muss länger an einem Ort gehalten werden. Böden, Vegetation sowie Grundwasservorräte profitieren davon. So kann nachhaltiges Wassermanagement gelingen und 2% der Fläche können hier eine unglaubliche Kraft entfalten.

2% der Fläche in Deutschland für eine naturnahe Gewässerentwicklung – in einem Land, das wie Deutschland relativ dicht besiedelt ist, ist das durchaus eine Herausforderung. Doch es hat so viele positive Auswirkungen, dass es uns das Wert sein sollte. Zudem steht die Renaturierung von Flüssen und Gewässern ja auch nicht isoliert, sondern im Zusammenhang und mit vielfältigen Wechselwirkungen zu anderen Umwelt-, Natur- und Klimaschutzmaßnahmen.

eine überflutete Auenfläche, im Hintergrund eine Siedlung und Bäume
Nutzen wir die Kraft der 2% für naturnahe Flüsse und Ökosysteme! / © Peggychoucair, , pixabay.com

Übrigens ist auch der WWF Deutschland bei der Renaturierung von Auenlandschaften und Gewässern aktiv, z.B. international im Donaudelta, oder in Deutschland an Oder und Elbe.

Du möchtest tiefer in das Thema einsteigen? Dann lade dir das Hintergrundpapier zum Thema „2% der Fläche Deutschlands für die Gewässerentwicklung“ (28 Seiten) des Umweltbundesamtes herunter.

Quellen

Umweltbundesamt (UBA): „Zwei Prozent, die viel bewirken können“ vom 20.10.2025, unter https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/zwei-prozent-die-viel-bewirken-koennen (Zugriff am 17.12.2025)

Stephanie Steppacher auf einem Trike

Stephanie

Artikel: 202