Im 13. Jahrhundert entstanden in europäischen, vor allem belgischen und niederländischen, Städten, insbedondere in den flandrischen Handels- und Hafenstädten wie Brügge, Antwerpen, Gent und Löwen Wohngemeinschaften von Frauen. Diese sogenannten Beginenhöfe verhalfen den Frauen zur Unabhängigkeit von familiären Bindungen. Die Gemeinschaften eröffneten den einzelnen Frauen als bottom-up-Bewegung ungeahnte Möglichkeiten, Freiheit und Kraft.
Was sind Beginenhöfe?
Beginenhöfe wurden von Wohlhabenden gestiftet und von den Frauen als Bauherrinen selbst errichtet. 45% der Stifterinnen waren wohlhabende Frauen. Zuerst lagen sie – als ummauerter Gutshof – außerhalb oder am Rande der Stadt, zum Beispiel im Weinberg. Da die noch nicht allzu lang florierenden Städte in dieser Zeit stark wuchsen, befanden sich die Beginenhöfe rasch innerhalb der Stadtmauer. Glücklicher Weise sind einige Beginenhöfe noch heute im Stadtbild erhalten. Denn sie bewahren nicht nur flandrisches Kulturerbe sondern auch grüne Oasen, Grünflächen und Gärten, mitten in der Stadt. Die Grundrisse sind oftmals noch die ursprünglichen. Entweder wurden Wohn- und Wirtschaftshäuser entlang kleiner Straßen oder um ein oder zwei großzügige Plätze herum errichtet, in deren Mitte eine Kirche stand. Oft gehörte ein Krankenhaus zum Beginenhof.
„Cities of Ladies“
Über die Jahrhunderte hinweg bewohnten und bewirtschafteten ausschließlich Frauen die Beginenhöfe und erhielten sie über unzählige Generationen hinweg. Schon Zeitgenoss*innen sprachen von Beginenstädten. Der Historiker Walter Simsons nannte die Beginenhöfe „Cities of Ladies“. Die Frauen wohnten alleine, zu zweit oder in Gruppen in einem der Wohnhäuser des Beginenhofs, das ihnen selbst gehörte. Sie kamen aus unterschiedlichen sozialen Schichten: reiche Frauen wurden reiche Beginen und arme Frauen wurden arme Beginen. Beginen lebten nicht von Almosen! Jede der Frauen hatte ihre eigene Arbeit. Einige nahmen am Handel teil oder vergaben Kredite, wodurch sie die städtischen Kapitalflüsse steuerten und beispielsweise einer jungen Familie ermöglichten, eine Bäckerei zu eröffnen. Manche waren früher verheiratet und hatten sich getrennt, hatten Kinder, andere waren jung oder einfach nicht verheiratet. Zwar teilten die Frauen im Beginenhof und in der WG ihren Alltag, doch bedeutete dies keineswegs, dass sie Alles miteinander geteilt hätten. Es gab keine Gütergemeinschaft, was bedeutete, dass jede Frau ihren eigenen Besitz hatte. In mancher Hinsicht, zum Beispiel hinsichtlich der Landwirtschaft, die es in den und um die Beginenhöfe gab, orientierten diese sich vermutlich an zeitgenössischen Klöstern. Ja, die Beginen betrieben Urban Gardening! Doch sollten Beginen keinesfalls mit Ordensschwestern bzw. Nonnen verwechselt werden. So mussten sie auch kein Gelübde ablegen sondern konnten die Gemeinschaft des Beginenhofs jederzeit wieder verlassen, um beispielsweise zu heiraten.
Die Hausordnung
Der Bischof von Lüttich nahm die Beginen seines Bistums, zu dem Aachen gehörte, unter seinen Schutz und verbot Übergriffe und Beschimpfungen. Daraus lässt sich schließen, dass es solche wohl gegeben hatte. Dieser Schutz konnte durch eine Tracht (das ist eine Art Uniform) zum Ausdruck gebracht werden, die zeigte, dass hinter der Frau, die die Tracht trug, eine starke Gemeinschaft stand, die den Schutz der Kirche und der Stadt genoss. Denn die Offenheit, mit der die Beginen ihr Leben außerhalb des Schutzes der Familie oder der Klostermauern führten, war neu und machte Vorsichtsmaßnahmen erforderlich. Was ihre Gemeinschaft für die Frauen hinsichtlich ihrer Teilnahme und Teilhabe am städtischen Leben bedeutete, können wir heute zum Beispiel aus der Hausordnung des Beginenhofs in Aachen ablesen. Keine Begine durfte ohne Erlaubnis der Meisterin oder – und dieser Zusatz scheint zum Verständnis entscheidend – einer Mitbewohnerin den Hof verlassen. Übersetzt bedeutet das so viel wie: „Es muss immer jemand Bescheid wissen, wann du gehst und wiederkommst, damit dir nichts passiert.“ Auch Übernachtungen außer Haus werden nicht verboten. Es ist bloß das Einverständnis der Meisterin oder des Hofpfarrers einzuholen. Hierin kann auch Fürsorge statt Kontrolle erkannt werden. Ebenso regelt die Hausordnung das Übernachten Fremder im Hof: Es darf keine Begine eine Person in den Hof führen oder länger als acht Tage beherbergen ohne die Erlaubnis der Meisterin oder des Hofpfarrers. Im Jahr 1333 wurde in die Hausordnung das Verbot aufgenommen, mit Männern zu baden, was im Klartext heißt, dass dies üblich war. Und ein ausdrückliches Gebot, wenigstens jeden Sonntag in die Kirche zu gehen, könnte auch bedeuten, dass dies gar keine Selbstverständlichkeit war.
„Ihr redet, wir handeln.“
Ein Dominikanermönch hat Ende des 13. Jahrhunderts den folgenden Dialog zwischen einem Professor der Pariser Universität und einer Begine in seiner Sammlung predigttauglicher Geschichten aufgeschrieben:
Ihr redet, wir handeln
Ihr lernt, wir tun was
Ihr analysiert, wir wählen
Ihr kaut, wir schlucken
Ihr verhandelt, wir kaufen
Ihr glüht vor, wir fangen Feuer
Ihr vermutet, wir wissen
Ihr fragt, wir nehmen
Ihr arbeitet, wir halten inne
Ihr werdet immer dünner, wir nehmen zu
Ihr läutet, wir singen
Ihr singt, wir tanzen,
Ihr blüht, wir tragen Früchte,
Ihr kostet hier und da ein bisschen, wir essen.
Beginenhöfe waren Sharing Communities von Frauen, sie waren Bereicherungen für ihre Städte und Ermöglichungsgemeinschaften. Das Modell der Beginenhöfe setzte in vielerlei Hinsicht neue Energien frei. zum Beispiel war es Vorbild für viele spätere Wohnbauprojekte wie die Fuggerei in Augsburg. Als Einzelpersonen hätten die Frauen all dies unter den Bedingungen der mittelalterlichen Stadtgesellschaft nicht geschafft. Erst die Beginenhöfe eröffneten diese Handlungsspielräume und gaben den Frauen durch die Gemeinschaft Freiheit – und Kraft. Mit dieser Kraft ließen die Frauen bis dahin Undenkbares Wirklichkeit werden.
Die gesammte Story ist sinngemäß aber verkürzt entnommen aus: Annette Kehl, Wir konnten auch anders. Eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeit; 3. Auflage 2021; erschienen im Blessing-Verlag in München; Seiten 96 – 120 (Kapitel 2.3: Beginenhöfe – Frauen-WGs und Urban Gardening). Einzelne Sätze und Satzteile stammen wortgleich von ebendort.






