Was ist Deontologie? – Wenn Prinzipien wichtiger sind als Folgen

Stell dir vor, du kannst jemandem das Leben retten aber nur, wenn du vorher lügst. Was zählt mehr: die gute Tat am Ende oder das moralisch richtige Mittel? Genau an diesem Punkt trennen sich drei große Richtungen der Ethik:

👉Die Tugendethik fragt: Was für ein Mensch bin ich, mit welchen Haltungen, Werten, Tugenden, Absichten?
👉Der Konsequentialismus fragt: Was kommt am Ende dabei raus? Zählen nur die Folgen?
👉Und die Deontologie, um die es heute geht, sagt: Nicht das Ergebnis entscheidet, sondern die Regel, nach der du handelst.

Man kann Moral also als Weg denken: vom Charakter über die Regel bis hin zum Ergebnis und in diesem Artikel zoomen wir in die Mitte, zur Deontologie. Wir schauen uns jetzt an, wie diese Denkweise funktioniert und warum sie in unserer Zeit manchmal unbequem sein könnte, aber oft gerade deshalb so wichtig ist.

Was ist Deontologie?

Deontologie ist die Ethik, die auf das Handeln selbst schaut. Sprich: Es geht darum, was wir tun, und nicht darum, was am Ende dabei rauskommt. Es geht um das Prinzip, nicht um den Nutzen.

Ein Beispiel: Eine Person wird von einem Verbrecher verfolgt und versteckt sich bei dir Zuhause. Kurz danach klingelt der Verfolger an deiner Tür und fragt: „Verszeckt sich hier Jemand?“

Wenn du die Wahrheit sagst, wird er deinen Gast finden, vielleicht sogar verletzten. Wenn du lügst, rettest du ihm möglicherweise das Leben.

Was tun? Die Deontologie sagt: Lügen bleibt falsch, auch wenn du damit Leben rettest.

Das Argument: Wenn jeder lügt, wenn es gerade passt, dann verliert Wahrheit ihren Wert. Und eine Welt ohne Vertrauen ist auf Dauer schlimmer als ein Einzelfall mit guter Absicht.

Aber bevor du jetzt denkst: „Das macht keinen Sinn! Wieso soll ich nicht lügen, wenn es doch ein Leben rettet?“ Dann empfehle ich dir weiter zu lesen. Denn hinter dieser Denkweise steht niemand Geringeres als Immanuel Kant, einer der einflussreichsten Denker Europas. Seine Theorie prägt bis heute, wie wir über Gerechtigkeit, Menschenwürde und Verantwortung sprechen und das nicht nur in der Philosophie, sondern in Gesetzen, Politik, Ethikkommissionen und Verfassungen.

Ohne Kant würden viele Grundlagen unseres moralischen Denkens so nicht existieren. Er ist der Grund, warum wir sagen: „Ein Mensch ist nie nur Mittel zum Zweck.“ Oder noch bekannter was wir alle bestimmt in unserer Kindheit gehört haben: „Was du nicht willst das man dir tut, das füg auch keinem andern zu.“

Und deshalb lohnt es sich, ihm genauer zuzuhören, denn vieles was heute selbstverständlich wirkt, baut genau auf seiner Idee von Moral auf.

Kants Grundidee: Moral aus Vernunft

Kants Ethik ist eine Pflichtenethik. Das heißt: Du sollst das Richtige tun, nicht weil es sich gut anfühlt, nicht weil es zu einem guten Ergebnis führt, sondern weil die Tat das Richtige ist. Für Kant ist eine Handlung dann moralisch, wenn sie einer Regel folgt, die immer und überall gelten kann, für alle Menschen und in jeder Situation. Dahinter verbirgt sich kein kluger Gedanke, sondern eine einfache, prüfbare Idee:

Kann ich wollen, dass alle so handeln wie ich und das immer?

Wenn du jemanden anlügst, nur um selbst besser dazustehen, würdest du wollen, dass das alle tun? Nein. Denn dann könnte man nie mehr auf ein Versprechen vertrauen. Also ist die Handlung falsch, weil ganz egal wie gut sie sich für dich anfühlt oder das Ergebnis ist, die Tat bleibt falsch. Für Kant zählt nicht, wie es dir dabei geht, sondern ob deine Handlung zur Regel taugt. Moral bedeutet: Du stehst zu einem Prinzip, auch wenn es unbequem ist.

Die Maxime – das Herzstück der Kant-Ethik

Wenn du nach Kant moralisch handeln willst, brauchst du vor allem eins: eine Maxime.
Eine Maxime ist der Satz, nach dem du handelst. Also dein persönliches Prinzip. Das, was du dir innerlich sagst, wenn du dich entscheidest.

Deine Maxime könnte zum Beispiel lauten: „Ich helfe anderen, wenn sie Hilfe brauchen.“

Das bedeutet: Du handelst nach einem Prinzip, das auch für andere gelten kann. Wenn alle so denken würden, gäbe es mehr Unterstützung, mehr Verantwortung, mehr Zusammenhalt. Für Kant ist klar: Diese Maxime ist moralisch in Ordnung. Denn sie taugt zur Regel für alle. Sie ist verallgemeinerbar.

Jetzt ein anderes Beispiel: Stell dir vor, du hast Mist gebaut und willst Ärger vermeiden. Also entscheidest du dich zu lügen, um besser dazustehen.

Deine Maxime könnte dann lauten: „Ich darf lügen, wenn es mir nützt.“

Und jetzt stellt sich die Frage: Was wäre, wenn alle so handeln würden? Wenn jeder lügt, wenn es ihm gerade passt? Dann hätte ein Versprechen keinen Wert mehr. Vertrauen wäre unmöglich. Deshalb sagt Kant: Diese Maxime darf kein allgemeines Gesetz werden, also ist sie moralisch falsch.

Eine Regel muss verallgemeinerbar sein. Du musst wollen können, dass alle Menschen so handeln wie du, in jeder vergleichbaren Situation. So prüft Kant moralisches Handeln. Nicht am Ergebnis. Nicht am Gefühl. Sondern an der Maxime und ob sie für alle gelten könnte. Deshalb ist die Maxime das Herzstück seiner Ethik. Denn sie zeigt, ob du aus Pflicht handelst oder nur aus Lust, Angst, Bequemlichkeit oder Eigennutz.

Der kategorische Imperativ – erklärt

Kant nennt seinen Grundsatz „kategorischen Imperativ“ und beides klingt erstmal alt und kompliziert. Aber keine Sorge, wir machen’s einfach.

„Kategorisch“ heißt: unbedingt.
Ohne „wenn“, ohne „aber“, ohne Ausnahmen. Eine Regel, die immer gilt in jeder Situation, für alle Menschen.

„Imperativ“ heißt: Befehl oder Aufforderung.
Also: Etwas, das man tun soll, nicht nur kann, nicht vielleicht, sondern muss. Wie in: „Du sollst nicht lügen.“ Das ist ein Imperativ.

Zusammen heißt das: Der kategorische Imperativ ist ein Befehl, der unbedingt gilt. Nicht nur dann, wenn’s gerade passt. Nicht nur für manche. Sondern immer. Und das ist Kants Grundidee: Moralisches Handeln ist nicht freiwillig, nicht situationsabhängig, es ist Pflicht. Das unterscheidet ihn vom sogenannten hypothetischen Imperativ, der nur gilt, wenn man ein bestimmtes Ziel hat.

Beispiel: „Wenn du gesund bleiben willst, dann ernähr dich besser.“ Das ist hypothetisch. Die Handlung gilt nur, wenn du das Ziel verfolgst Gesund zu bleiben.

Kants Moral ist „frei von Empirie“ sie kommt nicht aus dem Leben, sondern aus dem Denken. Wir müssen nichts beobachten, messen oder erleben, wir müssen nur prüfen, ob unsere Regel für alle gelten könnte. Und genau das ist die Funktion des kategorischen Imperativs: Er ist eine Prüfmaschine für Maximen. Man wirft seine Maxime oben rein, also den Satz nach dem man gerade handeln will und schaut, was unten rauskommt:

  1. Besteht die Maxime den Test (also: wäre sie für alle denkbar und zumutbar)? →Dann ist die Handlung moralisch erlaubt, vielleicht sogar geboten.
  2. Besteht die Maxime den Test nicht (sie würde die Welt ins Chaos stürzen, wenn alle sie befolgen würden)? →Dann ist die Handlung moralisch falsch.

Der Imperativ gibt dir keine Regeln vor. Er sagt dir nicht, was du tun sollst. Er sagt dir nur, wie du prüfen kannst, ob das, was du tun willst, richtig ist. Und das macht ihn so stark und gleichzeitig so fordernd.

Fazit & Ausblick auf Teil 2

Jetzt kennst du die Grundlagen: Was Deontologie ist, was Kant wirklich meinte und warum es bei Moral um Regeln geht, nicht um Gefühle oder Folgen. Aber wie gut funktioniert das Ganze eigentlich in der Praxis? Im nächsten Artikel ist genau das Thema.
Was passiert, wenn man lügen müsste, um ein Leben zu retten? Darf man einfach weglaufen, statt zu helfen? Und wie moralisch ist es eigentlich, in den Flieger zu steigen auch wenn es für die gute Sache ist?

Dann zeigt sich: Wie stark ist Kants Ethik wirklich, wenn sie sich mit dem echten Leben auseinandersetzten muss?

Titelbild von Mohamed Hassan auf Pixabay.

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Justin Kowalski

Hi, ich bin Justin. Ich studiere Politikwissenschaft in Hannover und schreibe hier über Themen, die mich bewegen, von Philosophie über Gesellschaft bis zur Nachhaltigkeit. Ich freue mich, wenn ihr meine Artikel lest und mit philosophiert :) Neue Artikel erscheinen immer Dienstags um 10 Uhr ;)

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